Wer mag schon Alfons Zitterbacke? (2024)

Was bleibt von Alfons Zitterbacke übrig, wenn man die DDR weglässt? Der Witz dieser Figur, die Gerhard Holtz-Baumert in den Fünfzigern erfunden hatte und die in den Jahrzehnten danach zu Film- und Fernsehruhm kam, bestand ja darin, dass sich da ein Pionier in vorauseilendem Eifer die Ideale des Sozialismus zu eigen macht, nach ihnen zu handeln versucht und dabei in einer Mischung aus Missverständnis und Pech, nach der alle Systeme überlebenden Gut-gemeint-schlecht-gemacht-Methode den realsozialistischen Gang stört. Gemocht hat man den nicht, oder?

Man könnte ihn als versehentlich-subversiv bezeichnen, und vielleicht war es das, was viele DDR-Bürger – egal ob Widerstandskämpfer, Opportunisten und Funktionäre – bei der sie vereinenden passiv-aggressiven Grundhaltung gegen ihr gesellschaftliches Projekt abholte. Oder war es doch nur die urdeutsche Schadenfreude, die seinen Ruhm verursachte? Aber was unterscheidet ihn dann von anderen Trotteln, die ja gerade in Teenie-Komödien scharenweise auftreten?

Trottel- und Schadenhumor bietet jedenfalls auch der zweite Nach-Wende-Alfons-Zitterbacke-Film „Endlich Klassenfahrt“: ausgespielt bis zur Neige, auf Schmusekurs mit der Ekelgrenze und gern in Großaufnahme. Weil Alfons (Luis Vorbach) inzwischen in die Pubertät gekommen ist, quetscht er sich gleich zu Beginn einen Pickel auf der Nasenspitze aus, dass dem Zuschauer der Eiter fast ins Auge spritzt. Groß und melancholisch ist der Junge geworden und hat seine kindlichen Träume gegen solche eingetauscht, in denen sich seine noch gerade so unschuldige Sexualität regt. Diesmal will er nicht mehr auf Weltraumreise gehen, sondern, wie der Titel verrät, nur auf Klassenfahrt.

Er verschläft am Abfahrtstag, wird aus den erwähnten süßen Mädchenretterwelten gerissen und steigt hinab in die albtraumhafte Realität. In der Hektik vergisst er, seine Hose anzuziehen, sodass es einem lieber wäre, wenn er den Bus doch verpasst hätte. So aber setzt er sich mit seinem Pyjama auf einen geschmolzenen Schokoriegel: Kackealarm! Bei dem Versuch, sich schnell umzuziehen, muss Alfons feststellen, dass er den Koffer mit dem seiner Mutter (Alexandra Maria Lara) verwechselt hat, die mit ihrem neuen Liebsten (Sam Riley) in den Urlaub fahren wollte und dafür im Wesentlichen Bikinis eingepackt hat.

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Diese Art von Humor passt vielleicht zu den Erwartungen, die die Zuschauer haben mögen, manchmal wirkt er wie auf dem Pausenhof von Mitgliedern der 13-jährigen Kernzielgruppe ausgearbeitet, die sich nun einmal nichts Lustigeres vorstellen kann, als ein Chemieklo umzuschmeißen, in dem ein Mensch gerade seine Notdurft verrichtet. Und warum eigentlich nicht: Schokolade am Po, Chili in der Tomatensoße, Tomatensoße im Gesicht des ungeliebten Lehrers Flickendorf, dessen leitmotivisch auftretender, an alle Götter und Teufel gerichteter Fluch- und Hilferuf „Zidderbagge“ von Thorsten Merten zu den Momenten zählt, in denen die Nähe von Komik und Entsetzen aufscheint und titelgerecht tremoliert.

Der Grundplot besteht in der Spannung von Liebe und Verrat, der zum Beispiel auch bei „Leander Haußmanns Stasikomödie“ der Handlungsmotor ist – schwer zu sagen, ob das als Reminiszenz an das untergegangene Land gemeint ist. Dass Alfons Zitterbacke mit dem Obermobber Nico (Ron Antony Renzenbrink) einen Pakt eingeht, ist zwar absolut unglaubwürdig, zeigt aber, dass auch der Trottel nicht frei von Schuld ist. Um die Wette zu gewinnen und damit dem Mobbing ein Ende zu setzen, soll der verliebte Alfons die neue Mitschülerin Leonie zur Freundin gewinnen, mit Küssen und Händchenhalten. Ebenso unglaubwürdig ist, dass Leonie tatsächlich ein Auge auf den Trottel wirft, der ihr als Erstes mal eine Billardkugel vor die Stirn knallt. Aber Realitätsnähe ist kein Kriterium für einen guten Film.

Schmerzpunkt des Verrats

Die Entwicklung ist mit dieser Wette programmiert: Die Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf, gedeiht aber auf dem durch die Wette vergifteten Boden. Die Gefühle scheinen auf einmal nur vorgetäuscht worden zu sein, Leonie, die bis dahin alle Konflikte mit ihrem vorbildlich mädchenhaften Klassensprecherinnenlächeln erstickte, rastet endlich mal aus: „Ihr seid beide so widerlich, ich will mit euch nichts mehr zu tun haben.“ Aber der Film stiefelt achtlos über den Schmerzpunkt hinweg, um das Happy End breitzulatschen.

Sein Problem ist vielleicht die hohe Prank-und Unfalldichte bei gleichzeitig schlechtem Pointen-Timing. Die Kinderdarsteller haken die auswendig gelernten Texte und Haltungen der Dialoge ab, die klischeestarren Nebenrollen bleiben Stichwort- und Spruchlieferanten. Die Titelfigur ist von recht inkonsistentem Charakter und stark schwankender emotionaler Intelligenz, soll in dem Alter ja vorkommen. Was auf jeden Fall funktioniert, sind die Fremdschammomente, die allerdings teilweise unfreiwillig entstehen.

Marke ohne Kern

Auch die Erwachsenen können schlecht ihre Figuren entwickeln, weil sie damit zu tun haben, das abenteuerliche Handlungsgerüst über mühevoll ausklamüserte Wendepunkte zu transportieren: dass die Klassenfahrt zuerst an die Ostsee, dann aber plötzlich in den Harz führt, wirkt ebenso an den Haaren herbeigezogen wie der Grund dafür. Erholsam immerhin, dass es ein Wiedersehen mit dem in sich ruhenden Gojko Mitić gibt.

Das aufwändige erzählerische Holterdiepolter scheint das Fehlen des eigentümlichen gesellschaftlichen Grundkonflikts, mit dem die Hauptfigur in der DDR zur Marke wurde und der nun vielleicht veraltet ist, kaschieren zu sollen. Es macht das fehlende Zentrum des Films nur deutlicher.

Wertung: 2 von 5 Punkten

Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt. Deutschland 2022, Regie: Mark Schlichter, Drehbuch: Mark Schlichter und John Chambers. 92 Minuten, FSK ab 6.Ab Donnerstag, den 7. Juli in den Kinos

Wer mag schon Alfons Zitterbacke? (2024)

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